Nochmals Apsara? Mit aller Bestimmtheit: Ja! Ausgangsbasis: Das in der Überschrift angeschlagene Thema kann niemals vollständig ausgelotet werden. Wem es gelingt, sämtliche Angkor Tempel in Kambodscha aufzusuchen, alle dort erhaltenen Apsara-Reliefs fotografisch dokumentiert, der wird über eine reichhaltige Fotospezialsammlung verfügen, die jedoch, selbst bei bester Ordnung, stumm bleibt. Alle Fotos geben wortlos Kunde – eine Binsenweisheit. Der Betrachter muss aus vergleichenden Gegenüberstellungen seine Schlüsse ziehen, was ein möglicher Ansatz, nur ein Versuch wäre, der zu Erkenntnissen führen könnte. Trotz ausreichendem Materialfundus konnte im Artikel APSARA: TÄNZERIN oder GÖTTIN keine abschließende oder gar eindeutige Typisierung zur Unterscheidung zwischen Apsaras und den anderen weiblichen Darstellungen (Göttinnen) gegeben werden; dennoch wurde das angestrebte Ziel erreicht, den Nachweis zu erbringen, dass nicht alle weibliche Figuren Abbildungen von Apsaras sind. Auch im hier folgenden Artikel wird keine verbindliche Bewertung des Themas stattfinden. In ausgeweiteter Form wird eine anschauliche Konkretisierung des Themas versucht. Angkor Wat, so scheint es, wurde oft und umfassend beschrieben, was nicht abzustreiten ist. Trotz aller Erklärungen fristen die Tore des Angkor Wat, vom West-Tor abgesehen, ein sogenanntes Schattendasein. Hier soll zunächst der Blick auf die vermeintlichen Apsaras am Ost-Tor (Ta Kou Entrance) gelenkt werden. Diese Frauendarstellungen sind unfehlbar Göttinnen, alle stehen in aufrecht stolzer Haltung und blicken auf die ankommenden Menschen herab. Alle Göttinnen tragen Kronen, die einem Muster entsprechen und sich nur geringfügig unterscheiden. Die Frisuren sind annähernd gleichartig, keine der geflochtenen Haarsträhnen sind mehr als schulterlang. Der fast knöchellange Rock mit beidseitiger Schleppe muss als Erkennungsmerkmal bestätigt werden, diesen Rock haben alle Göttinnen angelegt. Erstaunlich und bemerkenswert ist immerhin, dass ausgerechnet diese Kleiderordnung, eben der spezielle Rock mit Überrock (Schleppe) dem Bayon-Stil (1180 – 1220) entspricht, der Angkor Wat-Stil aber üblicherweise auf die Jahre 1100 – 1175 datiert wird. Die von Wissenschaftlern veranschlagten Datierungen fixieren ungefähr die angenommenen Bauzeiten der Tempel. Zwei Schlüsse lassen sich aus den differierenden Angaben ziehen: entweder weisen die Gewänder der Göttinnen am Ost-Tor des Angkor Wat schon den Mode-Stil des später errichteten Bayon-Tempels auf oder die Tore Ost, Süd und Nord des Angkor Wat wurden später erbaut und die Bildhauer fühlten sich dem aktuellen Mode-Trend, also dem Bayon-Stil verpflichtet. Nicht übersehen werden darf ein maßgebliches, auf allen Reliefs vorhandenes Detail: alle Göttinnen am Ta Kou Entrance, sowohl auf der Außen- als auch auf der Innenseite des Tores, halten eine Lotosblüte in den Händen oder sind von Lotosblüten bzw. anderen Blumen umgeben. Die reinigende (ideelle) Wirkung des Lotos darf nicht unterschätzt werden. Wer sich mit Lotus umgibt, wird als körperlich und geistig gereinigt angesehen, was bei Göttinnen ohnehin außer Zweifel steht. Lotosstängel gelten bis heute als bewährte Opfergabe für die Götter und Göttinnen. Ein weiteres wesentliches Faktum sollte nicht ohne Beachtung bleiben. Sieht man vom West-Tor ab, halten an keinem der restlichen Außen-Tore des Angkor Wat Löwen die Wacht, auch keine Dvarapalas (Tempelwächter) haben sich neben den Eingängen postiert. Am Ta Kou Entrance (Ost-Tor), am Ta Pech Entrance (Süd-Tor) und am Ta Loek Entrance (Nord-Tor) haben sich ausschließlich Göttinnen zum Schutz des Tempels versammelt, die gehören allerdings einer speziellen Sparte an: seien sie, weil kein kunstwissenschaftlicher Terminus außer Devatas greifbar ist, Blumenmädchen genannt. Im Vergleich zu dem von Löwen und Naga-Balustraden gesicherten West-Tor nimmt sich der Schutz der restlichen Tore eher bescheiden aus. Starke Frauen resp. Göttinnen vereinigt mit den heilsamen und reinigenden Kräften der Natur gelten als verlässliche Symbiose, die dem Schutz der Torbauten angemessen scheint – bildgewaltig in den Darstellungen sind die Vereinigungen himmlischer und natürlicher Phänomene allenfalls. Keine Löwen, keine Dvarapala vorhanden – dennoch wurden die Blumenmädchen nicht völlig schutzlos sich selbst überlassen. Die Göttinen stehen nicht auf Sockeln erhöht, sondern ebenerdig an ihrem Platz. In den sehr dekorativen Einfassungen, von denen die Göttinnen umgeben sind, verstecken sich weitere Gottheiten. Beispielsweise ist Kala mehrfach zu identifizieren, auch weibliche Gottheiten, die auf Lotos-Thronen sitzen, sind nicht zu übersehen. Die Bildhauer haben sich an Virtuosität zu übertreffen versucht. Wie der hässlich abschreckende Kala in den Pflanzenmotiven eingewachsen, von Ranken und Blättern fast überwuchert wird, dadurch eher harmlos wirkt und dennoch kenntlich ist oder wie sich über Kala ein dreieckiger Raum für eine weibliche Gottheit öffnet, die majestätisch auf einem Lotos ihres Amtes waltet, wie allen diesen Reliefs (Bilder 8 - 13) eine umfassende bildbeherrschende Harmonie innewohnt, die sich den Betrachtern eindringlich vermittelt, das ist nicht nur beachtlich, das muss unumwunden als großartige Kunst, mindestens als erstklassige Bildhauerkunst betrachtet und anerkannt werden. Die Nagas (Schlangenkönig, Mucalinda) im vertrauten Angkor-Stil treten an den Giebelfeldern der Angkor Wat-Tore als Akroterien in Erscheinung. Sie schirmen also die Dachbereiche der Tore vor zudringlichen Geistern oder sonstigen negativen Einflüssen ab. Sieht man von den "erzählenden" Reliefs auf den Tympana (den Giebeln und Seitengiebeln) der Tore ab, finden sich tatsächlich nur Devatas (Blumenmädchen) auf den Außenwänden der Tore versammelt. Der Schutz der Tore bzw. des Tempels ist allein den Göttinnen anvertraut. Am Bayon-Tempel werden die Blicke der Besucher zweifellos von den gigantischen Gesichter-Türmen gefesselt, welche jedoch die Anwesenheit vieler Apsaras und Devatas nicht ausschließen. Einige Fotos tanzender Apsaras vom Bayon-Tempel werden im Artikel APSARA: TÄNZERIN oder GÖTTIN vorgestellt. Die hier gezeigten Fotos rücken in Detail- und Gesamtaufnahmen Devatas ins Sichtfeld. Die mannigfach gestalteten Kronen verhindern keineswegs den Blick auf die überlangen Haarsträhnen der meist auf Podesten stehenden Göttinnen. Am Bayon-Tempel finden sich nur Göttinnen mit geflochtenen Langhaarfrisuren (Bild 14 - 16). Diese Aussage mag unter Vorbehalt bis auf Widerruf gültig sein. Auf den überlangen Reliefwänden des Bayon-Tempels sind einige weibliche Wesen zu entdecken, die in himmlischen Sphären, sozusagen über den eigentlichen Geschehnissen schweben. Es handelt sich bei diesen fliegenden Frauen (und Männern) weder um Apsaras noch um Devatas. Diese halbgöttlichen Wesen (Bild 19) werden in ihrer typisch knieenden Haltung von den meisten Autoren den Vidyadharis zugeordnet. Ihre männlichen Partner nennen sich Vidyadharas. Diese überirdischen Wesen gelten einerseits als Diener Shivas und andererseits besiedeln sie den Himalaya, also die Wohnungen der Götter. Im Hinduismus gelten sie als Weisheitshalter mit magischen Kräften. Auf vielen Tympana und Lintel anderer Angkor-Tempel schweben die unverwechselbaren Erscheinungen umher. Um Irrtümer auszuschließen wurden die Wissensbewahrer hier kurz erwähnt. Es sind eben keine Apsaras, auch wenn ihre schwebend-lockere Haltung diesen Eindruck vermitteln könnte (siehe auch Bild 19 & 20). Nähere Informationen zu den Vidyadharis finden sich im Artikel VIDYADAHRIS in diesem Blog. Der Ta Prohm Tempel ist einer der großen Tempelanlagen im Angkor-Gebiet. Jayavarman VII. ließ diesen Tempel zu Ehren seiner Mutter erbauen. Laut Philippe Stein existierten einst 39 Prasat, 566 Steinbauten und 288 Ziegelbauten, 260 Götterbilder sollen im Tempel vorhanden gewesen sein, die Bilder von Jayavarmans Mutter nicht eingerechnet. Was Wunder also, dass selbst Fachleute zusammenfassend nur von Devatas sprechen, wenn sie die Götterbilder erwähnen. Im Bild 20 sind auf einem rekonstruierten Tympanon vom Ta Prohm Tempel Vidyadharas zu sehen. Das auffälligste Requisit sind die geflochtenen seilartigen Gebilde, die Vidyadharas mit sich führen. Betreffs dieser Gebilde scheiden sich die gelehrten Geister. Manchmal wird von Girlanden bzw. Blumengirlanden gesprochen. Bedenkt man aber, dass diese Fluggeister (Upadevas=Halbgötter) schon zum Gefolge Indras gehörten und mit ihm Schlangenopfer zelebrierten, könnten die Girlanden auch als Schlangen angesehen werden. Die geschuppte Struktur (Bild 20) verleitet fast zu dieser Annahme. Blumenketten (Girlanden) werden im praktischen Glaubensleben gern als Opfergaben dargebracht (Bild 21). Der Vergleich der steinernen Abbildungen der Schlangen (Bild 20) und der geflochtenen (natürlichen) Opfergabe (Bild 21) lohnt, schafft aber keine Erkenntnis. Schlange oder Girlande? Was jeweils in Stein dargestellt bzw. gemeint ist, lässt sich nicht exakt bestimmen. Im Bild 22 & 22.1 ist eine Tänzerin mit der typischen Khmer-Krone zu sehen. Die Haltung der Tänzerin gleicht den Posen einzelner Tänzerinnen vom Angkor Wat, die Gestik ist vertraut und gewiss nicht bedeutungslos (vergleiche Bild 10 im Artikel: APSARA: TÄNZERIN oder GÖTTIN). Die hier vorgestellte Sonderform der Apsara, sollte es denn wirklich eine Apsara sein, findet sich im Ta Prohm Tempel nicht neben den Eingängen, nicht auf Pilastern, auch nicht neben Fenstereinfassungen, sondern auf einer Mauerfläche hoch oben unter der Dachregion eines Prasat. Die übrigen Dekorationen der Tempelanlage entsprechen dem Bayon-Stil. Zum Vergleich wird der Ta Prohm-Apsara (Bild 22) das Relief einer Tänzerin aus dem Banteay Kdei Tempel gegenübergestellt (Bild 23), zu sehen ist eine häufig wiederholte Tanz-Pose, welche in vielen Angkor-Tempeln leicht nachzuweisen ist. Diese in zahllosen Varianten vervielfachte Tanz-Position schien einer allgemein gültigen, gleichzeitig verbindlichen Mustervorgabe zu entsprechen. Das Nebeneinander der Reliefs (Bild 22.1 & 23) verdeutlicht die Unterschiede. Eines der zwei wunderbaren Sandsteinfragmente, die keinem Prasat des Ta Prohm Tempels mehr zugeordnet werden konnten, also verloren und wenig beachtet ihr Dasein am Boden fristen, belegt, dass sich sowohl die Apsaras (Bild 22) als auch die Devatas (Bild 24) mit den Khmer-Kronen (Kappen) schmückten. Das andere Fragment einer Devata=Göttin (Bild 25) belegt anschaulich die gewundene Haartracht ohne Krone. Die Bilder 9, 25 & 26.1. zeigen die verschiedenen Frisuren der kronenlosen Devatas. Erst in der Gegenüberstellung wird die Vielfalt der Erscheinungen offenbar. Viele kleinformatige Reliefs können am Baphuon-Tempel begutachtet werden. Dutzende Szenen, die sich auf die Geschichten aus den indischen Mythen berufen, sind zu entdecken und auch etliche Alltagsszenen verdienen eine gesonderte Betrachtung, doch nach Göttinnen müssen Liebhaber mit erhöhter Aufmerksamkeit Ausschau halten. Das hier vorgestellte Beispiel (Bild 26) hebt sich von den Devatas am Bayon-Tempel (Bild 15, 16) deutlich ab. Außer der besonderen Haartracht, die jegliche Krone ausschließt, besticht die bewegte Körperhaltung dieser Göttin. Die Frau gibt sich entspannt, vermeidet eine starre Haltung, zeigt sich nicht frontal, sondern hat sich leicht zur Seite gewendet. Ihr elegant-lässiger Auftritt wird durch den dreifachen Körperschwung hervorgerufen. Knie, Hüfte und Schulterbereich (Kopf) sind jeweils gegenläufig geneigt. Dieses bewährte Konzept der Darstellung wandten schon indische Bildhauer vor zweitausend Jahren an. Mit dieser als Tribhanga genannten Positur verliehen sie ihren Götterbildern den Hauch von Lebendigkeit. Das Götterrelief vom Baphuon-Tempel (Bild 26) darf/muss als gelungene Reminiszenz an alte indische Götterbilder angesehen werden. Beachtlich und ziemlich einmalig ist die betont große hängende Lotosblüte über der Göttin. Lotosblüten als Zeichen der Reinheit hält sie in beiden Händen. Sieht man von den Armreifen und den Ohrgehängen ab, trägt diese Devata keinerlei Schmuck, auch die Schleppe über dem Rock (im Bayon-Schnitt) hat sie nicht angezogen. Ihr schlichter Auftritt strahlt Reinheit aus. Sie ist schon eine außergewöhnlich seltene Erscheinung. Eine Vielzahl von Göttern, Halbgöttern und sonstigen himmlischen Wesen ist auf den in sieben Registern gestaffelten Bildergeschichten der Lepra König Terrasse versammelt. Die Bildhauer waren wohl vom Ehrgeiz getrieben, das Pantheon der Götter möglichst lückenlos vorzustellen. Es ist gleich, ob man die Reliefs an den Außenwänden der Lepra König Terrasse oder die Reliefs in den schmalen Gängen im inneren Bereich der Terrasse besichtigt, die Besucher werden gleichermaßen überwältigt, wenn nicht gar irritiert sein, denn an keinem Tempel, an keinem Tor, an keiner Mauer der Stadt Angkor Thom lassen sich größere Versammlungen von Göttern, Halbgöttern und mythischen Wesen nachweisen. Themenorientiert werden in diesem Artikel mit einer Ausnahme (Bild 29) ausschließlich Fotos von weiblichen Tänzerinnen und Göttinnen gezeigt. Fast alle Göttinnen der Lepra König Terrasse sitzen demütig leicht geneigten Kopfes und gesenkten Blickes jeweils zur rechten und zur linken neben Göttern. Viele der Frauen halten Lotosblumen in den Händen. Nicht jede der Frauen hat sich die langen Strähnen (Girlanden oder was auch immer dargestellt ist) übergehängt (Bild 33). Alle tragen feierlich geschmückt ihre Kronen (Bild 27, 28, 30, 33). Über die verschiedenen Ausführungen der Kronen geben die Bilder Auskunft, deshalb kann auf nähere Beschreibungen verzichtet werden. Verglichen werden sollten jedoch die Kronen auf den Bildern 27, 28 & 30. Die Göttinnen (oder Apsaras?) auf dem Bild 33 tragen durchweg gleichen Schmuck und einheitliche Kronen. Anders die Göttinnen auf den Bildern 31 & 32: Sie besiedeln das untere Register der Reliefwand, sie stehen offenbar den Nagas zu Diensten. Ihre besonderen Kronen bringen die Verbindung zum Nagaraja (ihr Dienstverhältnis) eindeutig zum Ausdruck. Aus dem Kronenring (Diadem) bäumen sich kleine Schlangen auf. Das Vorbild für diese außergewöhnlich ausstaffierten Kronen waren offenbar die Naga-Darstellungen (Mucalinda) an Giebeln und Tympana vieler Angkor-Tempel. Zwei Typen der Schlangenkronen konnten bislang entdeckt und mit Fotos belegt werden (Bild 31 & 32). Marilia Albanese erklärt mit wenigen Worten, wer auf den Reliefwänden der Lepra König Terrasse zu sehen ist: "Die zum Königsplatz gerichtete Front der Terrasse ist 25 Meter lang und zeigt auf sechs Meter hohen Mauern bis zu sieben Register mit Figuren von Gottheiten, fünf-, sieben- und neun-köpfige Nagas und Meerestieren. Die Götter werden in ihren Palästen mit Gefährtinnen und Beratern dargestellt, manche von ihnen erschreckend und grausam." (S. 226 Zitat Ende) Spricht nicht aus der verengten Zusammenfassung Götter mit Gefährtinnen und Beratern wissenschaftliche Ratlosigkeit? An mehreren Angkor-Tempeln sind weibliche Figuren (Bild 34 & 35) zu finden, die weder den Apasaras (Tänzerinnen) noch den Devatas (Göttinnen) zugeordnet werden können. Fast schlicht wirkende Frauen wringen mit beiden Händen ihr langes Haar aus, dabei, so die Legende, flossen Mengen von Wasser, die den Dämon Mara samt seinen Gesellen, die Buddha bedrängten, wegspülten. Mit Thoranis Hilfe gelangte Buddha ungehindert ins Nirvana. Auf diese Legende, die jedoch in den buddhistischen Lehrschriften keinen Niederschlag fand, berufen sich offenbar die Thorani-Reliefs. Außer am Prasat Prei und am Ta Som Tempel ist Thorani noch am Bayon Tempel nachweisbar. Weitere Bilder und Informationen zu Thorani, die nicht unbedingt zu den Göttinnen gezählt wird, können im Artikel INMITTEN VON GÖTTERN TEIL 12 abgerufen werden. Die Göttin (Bild 36) begutachtet sich in einem Handspiegel. Es scheint, als hätte sie eben ihre Toilette beendet. Der kritische Blick und die Geste der rechten Hand vermitteln den Ausdruck von Zufriedenheit. Auch von diesem speziellen Motiv – Göttin mit Spiegel – sind im Angkor-Gebiet mehrere Beispiele nachweisbar. Bemerkenswert sind die gleichen Ohrgehänge, mit denen Thorani (Bild 35) und die Göttin (Bild 36) sich schmücken. Vermutlich stammten der oder die Bildhauer aus einer Werkstatt oder für die Götterbilder am Ta Som Tempel wurde dieses einheitliche Schmuck-Dekor ausgewählt. Im Roluos-Gebiet können viele Tempel gesucht, gefunden und besichtigt werden, doch drei Tempel, die nicht gesucht werden müssen, stehen stets im Mittelpunkt des Besucherinteresses, einer dieser drei Tempel ist der Prasat Bakong. Der eigentliche Tempel (Heiligtum) wurde auf einem pyramidalen Unterbau errichtet. Am heute fast schmucklosen Unterbau sind nur wenige Reliefs auszumachen. Ein einziges Beispiel, worauf mehrere männliche Figuren dargestellt sind, wird häufig vorgestellt (Bild 39), weitere etwas blassere, verwitterte Reliefs werden weder erwähnt noch gezeigt (Bild 37 & 38). Zum hier behandelten Thema kann vorerst nur ein Reliefbild (Bild 37) vorgeführt werden: in einem geschwungenen Rahmen tanzt sehr beschwingt mit erhobenen Armen eine Apsara (?). Die lockere, fast sportliche Haltung der Tänzerin ist ungewöhnlich und kann nur mit diesem Bildbeispiel belegt werden. Auf dem Bild 38 erlaubt sich der Autor eine Vidyadhara zu erkennen. Detailversessene Hobbyforscher fänden vermutlich weitere differierende Apsara-Darstellungen, was nur ein tatsächlicher Gewinn wäre, würden auch die Bestimmungen und Zuordnungen gewährleistet sein. Anschauungsmaterial findet sich im Angkor-Gebiet genügend. Wer widmet sich der mühevollen Aufgabe und legt eine dringend notwendige (vielleicht sogar deutschsprachige) Studie vor? Wer beantwortet die Frage: Tänzerin oder Göttin? Die Zuordnung Apsara oder Devata – wird ein Problem für Spezialisten bleiben und die Guides werden den Besuchern auch zukünftig die wunderbaren Frauenreliefs in den Angkor-Tempeln verallgemeinernd als Apsaras vorstellen.
Interessierte Leser finden mannigfaltige Buchempfehlungen zum Thema auf http://www.devata.org/ Verwendete Literatur: Marilia Albanese – Die Schätze von Angkor NATIONAL GEOGRAPHIC ART GUIDE 2006 (Deutsche Ausgabe) ISBN 978-3-937606-77-4 Fotos: Vanessa Jones, mit (VJ) gekennzeichnet Fotos: Birgit Schönlein, mit (BS) gekennzeichnet Fotos: Günter Schönlein, nicht gekennzeichnet Text: Günter Schönlein Korrektur: Vanessa Jones
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Die Reliefbilder vieler Khmer-Tempel sind von einem fast unbeschreiblichen erzählerischen Reichtum erfüllt. Göttermythen und Schlachtenverherrlichung wechseln mit weltlichen Szenerien. Frauendarstellungen bleiben auf diesen Reliefs nicht ausgespart, ihre Zahl ist Legion. Sind die Tempel einer bestimmten Göttin gewidmet, dann liegt der Fall klar auf der Hand: dargestellt ist etwa Durga oder meinethalben Lakshmi und Parvati erscheint meist an der Seite Shivas. Wer aber sind die ungezählten anderen weiblichen Wesen auf den Reliefs? Im Angkor-Gebiet hat sich unter den ortsansässigen akkreditierten Reiseführern eine unzulässige Verallgemeinerung eingebürgert: schlichtweg alle weiblichen Wesen, die nicht eindeutig als Göttinnen zu definieren sind und namentlich nicht benannt werden können, in die Kategorie »Apsara« einzugliedern. Leider schließen sich auch westliche Reiseleiter nur allzu gern dieser bequemen Vereinfachung an. Das Publikum ist zufrieden. Die Leute haben auf ihre Fragen Antwort erhalten, ihre Neugier wurde mit einem Sanskrit-Wort gestillt. Alles muss richtig sein, schließlich wird der Begriff auch in namhaften Reisehandbüchern verwendet und gilt als etablierter Terminus. Wer sich jedoch im Internet oder in der Literatur kundig macht, wird betreffs »Apsara« zu verblüffend vielschichtigen Ergebnissen gelangen. Mit diesem Artikel wird der Versuch unternommen, die nebulöse Düsternis der Thematik vielgestaltiger Erscheinungen ein wenig aufzuhellen. Einleitend sollen prägnante Beispiele gezeigt werden, welche unwiderlegbar die Apsaras in ihrer Profession als Tänzerinnen vorstellen. Im Preah Khan Tempel (Angkor-Gebiet) führen die offiziellen Besichtigungswege durch die Halle der Tänzerinnen. Welchen Zwecken diese Halle ursprünglich diente, lässt sich heutigen tags kaum noch eruieren, der wohlklingende Name wird von den dekorativen Bildwerken abgeleitet worden sein. Der Fries von einem Türsturz (Bild1) zeigt harmonisch geordnet einen Tänzerinnen-Reigen. Mehr als ein Dutzend Tänzerinnen haben alle die gleichen Tanzposen eingenommen. Die linksseitigen Tänzerinnen stehen auf dem rechten, die rechtsseitigen Tänzerinnen balancieren auf dem linken Tanzbein. In der Mitte des Sturzes begegnen sich die links bzw. rechts tanzende Riegenführerin. Der Bildhauer bediente sich eines geschickten Kunstgriffs. Die zwei inneren Figuren sind etwas größer gestaltet, als die weiter außen tanzenden Frauen. Der Kopfschmuck ragt in die obere Rahmenleiste hinein. Beide Tänzerinnen rücken eng aneinander, was durch unterschiedliche Kniehebung und versetzte Armhaltung möglich wurde. Hätte der Bildhauer die zentralen Tänzerinnen in der einheitlichen Grundhaltung belassen, wäre unterhalb der Knie ein schwer zu füllender Leerraum geblieben. Ohne einer konkreten Symmetrie direkt zu folgen, entstand dennoch eine scheinbar gespiegelte Reihung der Tänzerinnen. Schaut man sich die Frauen intensiver an, vergleicht eine jede mit der anderen, lassen sich jedoch einige Unterschiede ausmachen. Die Haartrachten der Mittelfiguren heben sich ab, wie auch die Diademe differieren, korrekterweise müsste fast von Kronen gesprochen werden. Etliche Unterschiede ließen sich noch finden, doch wichtig ist die Pose aller Tänzerinnen, es könnte sich um eine Ausgangsstellung handeln, die eine Schrittfolge oder einen Bewegungsablauf einleitet. Diese Haltung muss inhaltlich bedeutsam sein, denn sie wiederholt sich, wie noch zu sehen sein wird, an bekannten Tempelanlagen immer und immer wieder. Bild 2 zeigt einen seitlichen Korridor zur Halle der Tänzerinnen im Preah Khan Tempel. Außer dem Türsturz mit Tänzerinnen weist nichts im Vorfeld auf die besondere Ausstattung bzw. Funktion der Halle hin. Die quadratischen Säulen sind glatt geschliffen, keine Reliefs zieren die Säulen, von den Kapitellen abgesehen, wurden jegliche Schmuckelemente vermieden. Erst die Säulen in der Halle nehmen das Motiv der Tänzerinnen auf (Bild 3). Die filigran eingefassten Flachreliefs sind schön anzuschauen und fordern fast den Vergleich mit den ähnlichen Säulenreliefs im Bayon-Tempel. Ob wir im Preah Khan Tempel oder im Bayon Tempel Ausschau nach besagten Tänzerinnen halten, bleibt sich gleich, wir finden die halbgöttlichen Wesen jeweils nur in den Außenbereichen und ausschließlich als Flachreliefs auf quadratischen Pfeilern (Bild 4, 5, 6). Sie treten einzeln (Bild 3), als Paar (Bild 4) und sogar als Trio auf (Bild 6). Die Reliefs vom Bayon Tempel zeigen die Tänzerinnen jeweils auf einer Lotosblüte (Bild 4 & 6), während die Tänzerin vom Preah Khan Tempel auf einem Podest (Sockel) tanzt (Bild 3). Der beschriebene Aspekt mag von geringem Wert sein, doch gilt es zu bedenken, dass den auf Lotosblüten tanzenden Apsaras eine zu vermutende apotropäische Wirkung nicht abzusprechen ist, weil sie eben in dieser Darstellung nur in den Außenbereichen zu finden sind. Besucher passieren zuerst die Naga-Balustraden, müssen daraufhin an den Dvarapalas vorbei, ehe sie der Apsara-Tänzerinnen ansichtig werden, das wäre eine kalkulierte Folge von Schutzmaßnahmen zur Verbannung negativer Energien, die nicht in die Innenbereiche der Tempel gelangen sollen. Apsaras als tanzende Wächterinnen . . . ? Ausgesprochen schöne, wirklich einmalige Apsara-Reliefs können im nordwestlichen Außenflügel des Angkor Wat bewundert werden. Die Besucherströme wälzen sich über den West-Steg, passieren das Mitteltor (West-Gopuram), schlendern an den großen Bibliotheken vorbei in Richtung Zentral-Tempel. Kaum einer begibt sich in die äußeren Seitengalerien des West-Gopuram. Die künstlerisch hochwertig ausgeführten sehr anmutigen Reliefs verdienen fürwahr mehr Beachtung. Diese Reliefs verstärken die Erwägung, den Apsaras eine Schutzwirkung zu unterstellen, denn auch diese Apsaras tanzen auf Lotosblüten und sind in dieser Ausprägung nur im Außenbereich nachweisbar. Der Lotos gilt immerhin als eines der acht Glückssymbole. Lotos steht für Reinheit. Sollte das Angkor Wat tatsächlich als Grabtempel konzipiert worden sein, der Zugang aus westlicher Richtung stützt diese Annahme, wären die Apsaras in der angenommenen Wächterfunktion richtig positioniert. Im Westen versinkt die Sonne. Das Reich des Todes liegt bekanntlich im Westen. Dieser Vorstellung folgten schon andere Hochkulturen lange bevor die Khmer ihre Tempel bauten. Tatsächlich erweckt die späte Nachmittagssonne diese Tänzerinnen zum wahren Leben, sie leuchten geradezu, ihre positive Kraft strahlt den Ankommenden entgegen. Die quadratischen schmucklosen Säulen des West-Gopuram des Angkor Wat (Bild 7 & 8) stehen im Kontrast zu den prächtigen Wandfronten der Galerien (Bild 8). Die Wände der nördlichen und der südlichen Galerie sind durchgängig mit in Reihe tanzenden Apsaras bedeckt. Besser erhalten haben sich die Reliefs der nördlichen Galerie (Bild 8). Generell befinden sich bzw. tanzen die Apsaras in der Außengalerie vom Angkor Wat ebenfalls in der schon beschriebenen und vom Preah Khan und Bayon Tempel her vertrauten Grundhaltung (Bild 9 & 11), wobei im Bild 10 eine Ausnahme vorgeführt wird. Diese Tänzerin steht, sich ihrer Einmaligkeit sehr bewusst, dem Betrachter frontal gegenüber. Sie zeigt keinen erhobenen Arm, sondern eine körpernahe Geste. Alle Tänzerinnen tragen jedoch die gleichen dreigespitzten Kronen, außerdem Schmuckringe an den Handgelenken, an den Oberarmen und über den Fußgelenken. Geringe Unterschiede sind am Halsschmuck erkennbar. Jede Tänzerin bewegt sich in einem prächtigen Rahmen, welcher den Formen der typischen Angkor-Tympana nachempfunden wurde. Diese geschwungenen Giebelfelder können an allen Angkor-Tempeln aus dieser Bauperiode begutachtet werden (Beispiele: Preah Khan, Banteay Samre, Angkor Wat). Alle diese Giebel werden immer von den Nagas (der Schlange=dem Schlangenkönig=dem Nagaraja) kurvenreich umwunden und enden als Akroterien, die meist als mehrköpfige Nagas ausgeführt sind. Die Umrahmungen der Tänzerinnen könnten als kunstvoll gewundene Gebilde betrachtet werden, doch bei genauerer Ansicht stellt sich heraus, dass die Girlanden eben nicht nur phantasievolle florale Geflechte sind, sondern die Schlangenleiber der Nagas symbolisieren. Die Bilder 12 & 14 lassen deutlich die Verschränkungen der Schlangenleiber erkennen. Die Nagas bäumen sich auf einem Lotos empor und über ihnen schwebt wiederum eine Lotoskrone. Die Nagarajas müssen keine Apsaras schützen oder bewachen. Der Naga hütet bekanntermaßen den Übergang vom Profan- zum Sakralbereich. Apsaras jedoch leben in himmlischen Sphären und sind den Göttern zu Diensten. Im speziellen Fall des Angkor Wat haben sich die Apsaras mit den Nagas zum gemeinsamen Schutz der Tempelanlage vereint. In dieser Kombination erscheinen die Apsaras an keiner weiteren Stelle im Angkor Wat. Die bislang erbrachten Ausführungen zu Apsaras=Tänzerinnen sollen dazu dienen, eine bislang kaum beachtete Funktion und Wirkung der Apsaras zu beleuchten. In Folge sollen Bildbeispiele vom Preah Khan Tempel vorgestellt werden. In sämtlichen Bereichen der riesigen Tempelanlage finden sich vorwiegend neben bzw. zwischen Fenstern und Scheinfenstern weibliche Figuren (Bild 15), die nicht in der bisher vorgestellten Weise als Tänzerinnen definiert werden können (Bild 16 & 17). Es sind keine Apsaras zu sehen, sondern Devatas, also Göttinnen: Deva (Singular) → Devata (Plural). Die hier gezeigten Göttinnen unterscheiden sich von den bisher vorgeführten Apsaras erheblich. Allen Devatas ist eine würdevolle aufrechte Haltung eigen, die ihrer Stellung in himmlischen Gefilden entspricht. In den Tempelnischen stehen sie auf kleinen Sockeln. Sie tragen keine Diademe, sondern schmücken sich mit Kopfbedeckungen, die ihren männlichen Partnern entsprechen. Die Göttin (Bild 16) trägt sogar eine typische Khmer-Kappe. Die topfartige Krone der Göttin (Bild 17) erinnert an den Gott Vishnu. Gezeigt werden die Göttinnen meist in Frontansicht. Prächtig gestaltet finden sich die Hüftgürtel, sogar die Stoffmuster der Röcke sind detailreich gearbeitet. Die geschlossenen Röcke mit Schleppen sind für Apsara-Tanzpositionen völlig ungeeignet, weder Gesten noch Schrittstellungen assoziieren irgendwelche tänzerische Ambitionen. Am Bayon Tempel versammeln sich die Göttinnen (Devatas) auf Pilastern (Bild 18 & 20) und flankieren Fenster und Scheinfenster (Bild 19). Wie am Preah Khan Tempel präsentieren sich die Devatas am Bayon Tempel auf einem Podest. Alle Devatas schmücken sich mit einem schwer zu definierenden Accessoire: lange, kettenartige, geflochtene Schnüre hängen über den Schultern herab und reichen fast bis zum Boden, werden oftmals noch mit einer Hand festgehalten (Bild 18-20). Betreffs der langen Schnüre, mit denen auch manche der Apsaras (Tänzerinnen) behängt sind (Bild 21 & 22), gilt, falls keine überlangen Haarsträhnen gemeint sind, folgende Annahme: würden die Frauen im Gefolge des Gottes Kubera auftreten, wären die geflochtenen Schnüre leicht zu erklären. Kuberas Schatzhüter, die Nidhis (Zwerge), sind oftmals mit solchen Ketten behängt, hierbei handelt es sich um aufgereihte Münzketten, die Reichtum und Wohlstand symbolisieren sollen. Für die Tanzenden sind schwere Münzketten oder geflochtene Seile auszuschließen (Bild 21, 22 & 23). Vielleicht deuten die elegant herabhängenden Schnüre einfache Schleifenbänder oder überlange Haarsträhnen an? Kaum eine der Tänzerinnen (Apsaras) verzichtet auf dieses Requisit bei ihrer Darbietung (Bild 21 & 22). Göttinnen jedoch könnten durchaus Wohlgefallen am Reichtum finden und diesen würdig präsentieren, in diesem Fall kämen die Münzschnüre in Betracht. Auffällig ist wiederum die Positionierung der Apsaras. Der »Raum«, in dem sich die Tänzerinnen bewegen, befindet sich unter Fenstern (Bild 22) bzw. an den Basen von Pfeilern (Bild 21) und auf Pfeilern (Bild 23), somit in Außenbereichen des Tempels, markanter weise werden die Apsaras von Löwen bewacht (Bild 21 & 22). Hier kann die beabsichtigte apotropäische Wirkung der Allianz zwischen Löwen und Apsaras vermutet werden. Die in mehreren Registern angelegten Reliefwände des Bayon können ohne Erklärungen zwar besichtigt, aber nicht gedeutet werden. Hier ist nicht der Ort für nähere Beschreibungen der Reliefs, aber eine Szene muss näher in Augenschein genommen werden. Zu sehen ist ein Khmer-Tempel, gezeigt wird das Heiligtum, die Ansicht von einem Shiva-Lingam (Bild 24). Darunter und daneben ist der Gottesdienst abgebildet. Allein dieser Tatbestand verdient Beachtung: ein hinduistisches Heiligtum auf der Bildwand eines buddhistischen Tempels. Rechts davon steht ein weiterer offener Tempel, ebenfalls ein typischer Khmer-Tempel (Bild 25), dieser Tempel wäre nicht sonderlich bemerkenswert, wenn nicht im Tempelinnenraum zwei Apsaras zu sehen wären. Hier wurde eine der seltenen Bildszenen in Stein gehauen, in denen der Apsara-Tanz in einer realen Lokalität – im gezeigten Fall: in einem hinduistischen Tempel – stattfindet. Apsara-Tanz nicht im Himmel oder in einem unbestimmten leeren Raum, wo Lotosblumen wachsen, sondern in einem Tempel zu Ehren der Götter, hier zu Ehren Shivas. Was nicht übersehen werden sollte, die Tänzerinnen haben sich der schweren (oben beschriebenen) geflochtenen Schnüre entledigt. Beim Tanz (in Aktion) sind diese Accessoires offenbar hinderlich bzw. ist materieller Wohlstand im Tempel verpönt. Wie auch immer, das Relief ist erstaunlich aufschlussreich und selten zugleich. (Die gesamte Szenerie ist derart breit angelegt, dass sie mit einer handelsüblichen Kamera nicht in einem Foto erfasst werden kann.) Wer die Erscheinungsvielfalt der Apsaras an nur einem Platz studieren möchte, der wird praktischerweise in den Angkor Wat Tempel verwiesen, dort kann die mit Abstand größte Versammlung dieser Himmelswesen begutachtet und bewundert werden. Die Reliefs der Galerie vom West-Gopuram des Angkor Wat sind weiter oben beschrieben und ihre Einmaligkeit mit Fotos anschaulich dokumentiert worden (Bild 9 – 14). Im Angkor Wat befinden sich hunderte Frauen-Reliefs in sehr plastischer, im Busenbereich in aufreizender voluminöser Modulation, die auf männliche (weibliche?) Finger eine ungeheuerliche, gleichsam unbeherrschbare verführerische Wirkung auszuüben scheint. Die Menschen, welche sich in den inneren Bereich des Tempels begeben, seien es nun Gläubige oder Ungläubige, standen und stehen den meisten der verführerisch dreinschauenden halbgöttlichen Wesen unmittelbar gegenüber. Die Menschen werden sozusagen von Angesicht zu Angesicht mit überirdischer Schönheit konfrontiert. Das Unglaubliche, das Unbegreifliche wurde in Stein gefasst. Was das menschliche Auge wahrnimmt und der Geist nicht zu fassen vermag, weil göttlicher Zauber mit Worten schwer zu veranschaulichen ist, muss sich durch Berührung bestätigen. Das haptische Begreifen (im doppelten Wortsinn) ist keineswegs nur Sache von Kinderhänden. Es wäre ungerecht, die von häufiger Berührung blank gegriffenen Brüste der Devatas nur auf billigen sexuellen Lustgewinn zurückzuführen. Stichhaltige Begründungen für die fast schon manisch zu nennenden Berührungszwänge scheinen sich auf tieferen Verständnisebenen menschlicher Psychologie abgelagert zu haben, um sich dort rationalen Erklärungen zu entziehen. Nebenbei: Götter-Statuen, Buddha-Statuen, Marien-Statuen und Kruzifixe strahlen eine vergleichbare, ähnlich unerforschliche Magie aus, die zur Annäherung zwingt, die Menschen zur Anbetung herausfordert. Welche positiven Wirkungen versprechen sich die Menschen vom direkten Kontakt mit den Devatas im Angkor Wat? Feiern die Devatas ihre Solo- Duo- Trio- und Quartett-Auftritte auf den Außenwänden der Tempelgebäude nur aus sakralen Gründen? Mindestens 1500 weibliche Wesen sollen im Angkor Wat gezählt worden sein, tatsächlich sind die meisten der Reliefs im Angkor Wat als Göttinnen zu definieren. Trotz der nicht zu leugnenden schablonenhaften Wiederholungen, die den Vorstellungen der Idealisierung göttlicher Schönheit gerecht zu werden versuchen, können die zahllosen Beispiele der Individualisierungen nicht unterschätzt werden. Wiederholungen der Bildwerke sind (nach Ansicht des Autors) auszuschließen. Keine Göttin gleicht einer anderen. Adäquat gestaltet findet sich die Dienst-Kleidung. Was die Röcke und die Schleppen anbelangt, treten die Göttinnen uniformiert auf, diese Vereinheitlichung macht sie kenntlich, alle weiteren Merkmale unterscheidet, stempelt jede, wenn man so will zur eigenständigen Göttin. Die mit Namen bekannten Götter und Göttinnen sind an ihren Attributen und ihren differenzierten Erscheinungen sicher erkennbar. Wesentlich schwerer fällt die Unterscheidung der Apsaras und Devatas, bei ihnen ist bestenfalls eine Kategorisierung möglich, die am Ende die Verschiedenheit bestimmter Gruppen verdeutlicht, ohne für jede Gruppierung einen konkreten Namen zu finden, der ein klar definiertes Betätigungsfeld ausweisen würde. Die Bilder 29 bis 31 stellen Göttinnen einer zusammengehörigen Gruppe vor. Alle Frauen tragen die Dreispitz-Krone. Den drei Kronenspitzen kann eventuell eine religiöse Bedeutung unterlegt werden – so könnten die drei steil in Richtung Himmel ragenden Spitzen eine Reminiszenz an die Trimurti (Vereinigung von Brahma, Vishnu und Shiva) sein? Rein sachlich bewertet, ist die Krone lediglich ein auffälliger Kopfschmuck, der allerdings nur gemäßigte Tanzschritte erlauben würde. Geschmückt sind die Kronenspitzen mit jeweils einer stilisierten Blüte (Bild 30), doch es gibt auch Kronenspitzen mit jeweils zwei Blüten pro Spitze (Bild 29 a, b & 31). Möglicherweise verbirgt sich hier eine Rangordnung, vielleicht wurden so die Halbgöttinnen und höher gestellten Göttinen kenntlich gemacht. Die aufwendige wunderbar feine Arbeit des Bildhauers/der Bildhauer veranschaulichen die Detailaufnahmen vom Bild 29a (Bild 29b,c). Im Gegensatz zur Göttin im Bild 31, die sich dem Wortsinn gemäß "im Rahmen" bewegt, tritt die Göttin im Bild 29 fast aus dem ihr zugedachten Rahmen heraus. Es ist wirklich beachtlich, mit welcher Eleganz die gefaltete Schleppe den Bildrahmen sprengt und wie selbstverständlich vor dem Rahmen herabhängt (Bild 29c). Hier war ein großer Künstler am Werk. Nicht alle Göttinnen sind in dieser künstlerischen und handwerklich hohen Qualität überliefert. – Die drei Göttinnen (Bild 30) sind sich einig, körperliche Nähe scheint ihnen vertraut zu sein, entspannt und locker wirkt ihr Auftritt. Jede trägt ihren unverwechselbaren individuellen Halsschmuck. Bei diesen drei Göttinnen ist der Rang (die Klassifizierung?) auf der Krone bzw. auf Krone und Stirn markiert. Die linke Göttin hat kein Markenzeichen, die mittlere Göttin trägt ihr Zeichen auf der Stirn und auf der Krone, die rechte Göttin trägt ihr Symbol nur auf der Krone. Besagtes Zeichen auf der Stirn (Tilaka) und auf der Krone trägt auch die Göttin im Bild 29a,b. – Übrigens tragen die Tänzerinnen auf den Flachreliefs am West-Tor des Angkor Wat die gleichen Dreispitzkronen wie die Göttinnen im Angkor Wat (Bild 26-31). Auch am Ost-Tor und an den wenig besuchten Nord- und Süd-Tor sind jeweils Göttinnen mit Dreispitzkronen nachweisbar. Hingegen an der Ost-Galerie und an den inneren (oberen) Bibliotheken des Angkor Wat ist ein völlig anderer Frauentyp zu identifizieren. Diese Frauen legen Wert auf exotische, wirklich außergewöhnliche Haartrachten. Wer solche Frisuren pflegt, kann keine Krone aufsetzen (Bild 26, 28 & 32). Sind es Dienerinnen? Sind es Göttinnen? Sind es Apsaras? Die zweite von links schwingt einen Palmblattwedel (Bild 32), sorgt also für Kühlung, ihr ist eine Aufgabe nachzuweisen. Immerhin tragen alle den vereinheitlichten Rock mit Schleppe. Die Bilder 33 – 35 stellen Sonderfälle vor: Apsaras (Tänzerinnen oder Göttinnen?) in besonderen Situationen. Das Bild 33 zeigt zwei Frauen: die rechte trägt das komplette Tänzerinnen-Gewand, jedoch eine besondere Krone mit nur einer Spitze. Die linke Frau ist noch keine Tänzerin, ist zwar schon in den Rock geschlüpft, hat aber noch keinen Schmuck angelegt und keine Krone aufgesetzt. Sie scheint noch jung, ihr Körper ist mädchenhaft schmal, ihr linker Arm bedeckt teilweise den noch zarten Busen. Das natürliche Körperbewusstsein dieser Mädchenfrau ist noch nicht vollständig gereift, verständliche jugendliche Scham muss sie noch überwinden lernen. Hier könnte eine Szene zwischen Lehrerin und Schülerin dargestellt sein? Das Bild 34 zeigt fünf Frauen mit wahrhaft abenteuerlichen Haartrachten, die jedoch auf jeglichen Schmuck verzichten. Nur die zweite Frau von links trägt noch Oberarmreifen. Vielleicht ist es wichtig zu erwähnen, dass dieses Quintett an der Außenwand einer der oberen Bibliotheken Posten bezogen hat. Bild 35 zeigt eine außergewöhnliche Szenerie. Die Tänzerin versteht mit sichtbarer Leichtigkeit die ansonsten steif drapierte Schleppe mit kunstreichen Bewegungen in kühnen Schwung zu versetzen. Innerhalb der riesigen südlichen Bildgalerie des Angkor Wat nimmt diese Szene nur geringen Raum ein, fällt als Randgeschehen kaum in den Blick. Umgeben ist diese echte Rarität leider von schattiger Düsternis. Weitere Besonderheiten, die im Angkor Wat zu entdecken sind, gilt es zu zeigen. Erneut muss auf die Galerien am West-Gopuram Bezug genommen werden. An keiner anderen Stelle im Angkor Wat finden sich sitzende Tänzerinnen (Bild 36-39). Spitzfindige Betrachter könnten einwenden, hier mussten Leerfelder adäquat gefüllt werden, das Platzangebot ließ eben nur Halb-Tympana zu. Tatsächlich aber beginnt und endet der Reigen der Tänzerinnen (Bild 9, 10, 11, 13) mit den sitzenden Tänzerinnen. Unwesentlich die Frage, ob hier junge Elevinnen zuschauen oder passionierte Tänzerinnen pausieren, um sich auszuruhen oder sich vor Tanzbeginn innerlich sammeln, wichtiger ist die individuelle Haltung der Sitzenden (Bild 37 & 38). Für die halbierten Tympana (Rahmen) lagen keine Muster vor, hier war Phantasie gefragt. Die Frau im Bild 40 tritt mit außergewöhnlichen Kopfschmuck auf. Einerseits trägt sie keine Krone, anderseits stecken in den kunstreich verknoteten Haarsträhnen zwei Kronenspitzen. Sie ist der Sparte der Palmblattwedlerinnen (Bezeichnung vom Autor gewählt) zuzurechnen. Im Vergleich zur Frau im Bild 32, 32a scheint die Frau im Bild 40 im Rang höher zu stehen, sie trägt als Verlängerung vom Halsschmuck eine Kette mit großem Ring, der übrigens auch von zwei Frauen im Bild 43 getragen wird. Auffällig wiederum die Tatsache, dass hier Frauen mit verknoteten Haarsträhnen den Ring umgehängt haben. Ganz sicher ist in diesem Accessoir ein signifikantes Erkennungs- oder Markenzeichen zu sehen. – Die Apsara in der Bildmitte vom Bild 43 schmückt sich als einzige mit einer Sieben-Spitzen-Krone, wobei nicht klar zu erkennen ist, ob die sieben Spitzen, Spitzen einer Krone sind oder sieben gestylte Haarsträhnen eine Krone andeuten bzw. imitieren. Diese Frau, Tänzerin oder Göttin, eher wohl doch eine Göttin, muss jedenfalls eine Auserwählte sein, den breiten Gürtel mit Blütenzeichen kann nur sie vorweisen. Es wäre nicht verwunderlich, dass hier eine Göttin mit ihren vertrauten Zofen abgebildet wurde. – Die Frau im Bild 41 & 42 hat eine Krone mit fünf Spitzen aufgesetzt. Sie steht in einem Tempeleingang. Zwei Pilaster mit Basen und Kapitellen bilden den Rahmen für die Göttin. Wer sich derart würdevoll in Szene setzt, kann nur eine Göttin sein. Die Lotosblüte als Zeichen makelloser Reinheit, welche sie in der rechten Hand hält, unterstützt diese Behauptung. Die exakte Auswertung der Bilder 41 & 42 ergibt einen kulturhistorischen Befund von nicht geringer Wertigkeit. Wie schon erwähnt, gibt sich die Göttin unter einem Torbogen die Ehre. Der Bildhauer hat sehr detailgetreu die Stilelemente vieler Khmer-Tempel dieser Zeit aufgegriffen und in dem Relief verewigt. Er bezog sich konkret auf stilistische Merkmale, die sich an direkten Beispielen im Angkor Wat nachweisen lassen. Derart gemusterte Pilaster sind genauso häufig zu sehen, wie der sich aufbäumende Naga mit lang heraushängender Zunge oft genug in den Blick fällt. Über dem pflanzlich geflammten Tympanum-Bogen wacht Kala, der Gott des Todes bzw. der verfließenden Zeit. Mit einem Wort: die Göttin zeigt sich im authentischem Ambiente. Die Bilder 44 & 45 führen himmlisches Leben vor. Zu sehen sind Göttinnen (zwei schon vorgestellte Erscheinungsvarianten) mit ihrem weiblichen Hofstaat. Jeweils fünf Personen bemühen sich um die Hauptperson, um die Göttin. Zwei Personen zur linken und drei Personen zur rechten Seite stehen der Göttin zu Diensten. Sehr bemüht sind zu beiden Seiten die Palmblattwedlerinnen, von denen schon die Rede war. Schirme über allen Beteiligten spenden Schatten und Schutz. Die Göttinnen selbst sitzen auf einem niedrigen Thron. Die inhaltlich ähnlichen Bilder geben beredte Auskunft zu den Lebensgewohnheiten der Devatas. Ausdrücklich muss versichert werden, dass alle Behauptungen, Vermutungen und Thesen in diesem Artikel lediglich dem aktuellen Wissensstand des Autors entsprechen. Ernsthafteste Beschäftigungen mit verzwickten Themen schließen sowohl Fehler als auch neue Erkenntnisse nicht aus. Selbst kunstgeschichtlich gesicherte Fakten müssen im Kontext neuer Forschungsergebnisse von Zeit zu Zeit Überprüfungen standhalten bzw. aktualisierten Auffassungen weichen.
Der Themenkomplex wird in diesem Blog durch den Artikel APSARA SPEZIAL fortgesetzt und ergänzt. Abschließend sollen zur ergänzenden Lektüre zwei WIKIPEDIA-Artikel empfohlen werden: https://de.wikipedia.org/wiki/Apsara https://de.wikipedia.org/wiki/Deva_(Gott) Fotos: 01 – 35, 46 - 50 Günter Schönlein Fotos: 36 – 45 Birgit Schönlein Text: Günter Schönlein Korrektur: Vanessa Jones Wenig beleuchtet, mithin ein Schattendasein fristen die Vidyadharis. Hier wird der Versuch unternommen, Schlaglichter auf eine selten besprochene Spezies in Angkor zu werfen. Vidyadhara (männlich) Vidyadhari (weiblich) → Sanskrit: "Weisheits-Halter, Wissensbewahrer" - die Lüfte bevölkernde überirdische Wesen - Upadevas, Halbgötter - Diener Shivas - Diener Kuberas - Gefolge Indras Außer nüchternen Fakten und Erwähnungen, in welchen altindischen Schriften die Vidyadharis in Erscheinung treten und wem sie dienen, ist dem WIKIPEDIA-Artikel Vidyadhara kaum mehr zu entlehnen. Einschlägige Fotos, die im folgenden Artikel gezeigt und erläutert werden, dürften das Wissensspektrum und die Vorstellungen betreffs der seltsamen Wesen erweitern. Zum Breitband-Relief Quirlen des Milchozeans im Angkor Wat werden alle Besucher geführt. Jeder Guide gibt vor dem Relief wortreich seine erlernte oder private Version des Mythos zum Besten. Die Geschichte selbst wird in der Bhagavata Purana, der Mahabharata, dem Ramayana und der Vishnu Purana schon in differierenden Fassungen erzählt, wurde inhaltlich erweitert und immer wieder neu übersetzt. Gewiss sind in jüngerer Zeit Comics der Geschichte in den Umlauf gelangt. Der Mythos vom Milchozean lebt und ist unsterblich. Halten wir uns an die in Stein geschriebene Khmer-Fassung und konzentrieren uns auf das Weltengeschehen, wie es die namenlosen Bildhauer im Angkor Wat hinterließen. Das Milchozean-Relief erstreckt sich über die Südwand der Ost-Galerie des Angkor Wat. Die Länge des Reliefs, immerhin 49m (neunundvierzig Meter), scheint die unglaubliche Bedeutung des Quirlens augenfällig zu bestätigen. (Das Relief lässt sich in seiner Gesamtheit mit keinem Foto einfangen, deshalb ist auch in diesem Artikel Beschränkung auf Ausschnitte notwendig.) Die Geschichte vom Milchozean geht so:
Quelle: Die großen Religionen der Welt. Band III Louis Renou – Der Hinduismus Fackelverlag Stuttgart 1981 Seiten 209-211 Die dünngedruckten Erklärungen wurden zum besseren Verständnis in den Text eingefügt. Die Klammern ( . . . ) bezeichnen Textauslassungen. Im Zentrum des Geschehens steht Vishnu (Bild 2). Der Gott tritt in zwei Erscheinungsformen auf den Plan. Vishnu, vierarmig, reguliert das Quirlen des Milchozeans, er sorgt für Vasuki, die sich um den Berg Mandara gewunden hat. Dreh- und Angelpunkt der ständig gegenläufigen Bewegung ist der Schildkrötenpanzer Kurmas. Kurma, die Schildkröte, ist eine weitere Inkarnation Vishnus. Auf Kurma=Vishnu dreht sich, gezogen von den Dämonen und den Göttern der Quirl=Mandara. Über allen wacht der Gott Indra (Bild 2). Genauso selbstverständlich wie von den Bildhauern im Meer Fische dargestellt wurden, sieht man über dem Geschehen in den himmlischen Gefilden ungezählte Vidyadharis schweben (Bild 1, 3 & 4). Im Himmel sind sie unterwegs, die Vidyadharis. Wie auf dem gesamten Relief in Szene gesetzt, befleißigen sie sich einer einzigen unveränderten Grundpositur. Es kann sich dabei nur um eine Flug- bzw. Schwebehaltung handeln, nie sind sie anders zu sehen und wenn sie nicht fliegen, so verharren sie gleichförmig in feierlich kollektiver Erstarrung. Aktive Teilnahme an einem Geschehen schaut anders aus. Der Dämonenkönig Ravana hält das fünfköpfige Haupt der Weltenschlange Vasuki hoch (Bild 5), wobei unter Vasuki auch der Schlangenkönig, der Nagaraja verstanden wird. Zweiundneunzig Dämonen=Asuras ziehen am Schlangenkörper (Bild 5). Der vielköpfige Ravana erscheint nochmals im Bild, er muss seine Helfer unterstützen, im Grunde ist Ravana allgegenwärtig (Bild 6). In anderen Deutungsversionen des Reliefs hat sich Vishnu inkognito in Gestalt Ravanas unter die Dämonen gemischt, um den Ablauf zu stören (Bild 6 & 7). Die Uniformierung der Dämonen ist nicht zu übersehen. Ravana trägt die gleiche eigenwillige Blüten-Krone, mit der sich auch seine Gefolgschaft schmückt (Bild 6 & 7). Für die Betrachter – gleich, ob damals oder heute – ist die Deutung des Handlungsgeschehens leicht. Zwei Seiten stehen sich gegenüber: Götter und Dämonen ziehen an einem Strang, an Vasuki. Achtundachtzig Götter (Suras) ziehen an der Schwanzseite Vasukis. Hanuman, der Affengott, hält das Schwanzende Vasukis hoch (Bild 8). Mit vereinten Kräften ziehen Götter am Körper Vasukis, sorgen dadurch für Bewegung und halten im Zusammenspiel bzw. im Gegenzug mit den Dämonen das Quirlen in Gang. Die Götter sind, nicht anders als die Dämonen, vereinheitlicht, sind kenntlich an den Spitzhüten, einer spezifischen Kronenform. Diese Krone trägt allen voran der Göttervater Indra (Bild 4). Hanuman gilt manchen Hindus als Sohn Shivas, andere sehen in ihm den Sohn der Apsara Anjana und des Windgottes Vayu. Gleich welcher Herkunft Hanuman sein mag, die Vidyadharis sind auch in seiner Umgebung zahlreich zugegen (Bild 8). Auch die Vidyadharis unterscheiden sich in der Darstellung nicht. Auf der gesamten Relieflänge schweben, wie zwei riesige Schwärme, stilisierte ziemlich gleich groß gewachsene weibliche Himmelswesen über dem großartigen Ereignis, das sich der Gewinnung des Amrita widmet. Acht Bilder zeigen Ausschnitte aus der wohl größten Relief-Darstellung dieses Mythos. Besucher können vor der Reliefwand auf und ab schreiten, gleich wo sie vor dem Bild verharren, sie werden unten die Fischwelt des Ozeans und oben die von Vidyadharis bevölkerte Himmelswelt sehen. Zunächst gilt es zu erkennen, dass die Vidyadharis nur in zwei Grundrichtungen schweben. Mit den Dämonen sind sie in Richtung Vasukis Kopf unterwegs und über den Göttern schweben sie in Richtung Vasukis Schwanzende. Die einen sind in Richtung Westen, die anderen in Richtung Osten unterwegs, was jeweils der Ziehrichtung entspricht. Wie schon erwähnt, Dämonen und Götter sind sehr schablonisiert dargestellt und auch nach nur einem Grundmuster sind die Vidyadharis vereinheitlicht. Die eigenwillig angewinkelte Beinstellung kann nur der Fortbewegung dienen. Es scheint, als würden sie mit den Unterschenkeln, um voran zu kommen, in der Luft rudern. Die erhobenen Arme halten das Gleichgewicht und die Hände lange Girlanden. Kronen mit drei Spitzen tragen alle. Auf Ohrringe, Halsschmuck, Oberarmreifen und Fesselschmuck will keine verzichten. Die Hüftbedeckungen entsprechen einem Schnittmuster. Alle schauen mit leicht gehobenem Kopf in die jeweilige Flugrichtung (West oder Ost). Wenige schauen aus dem Bild heraus auf den Betrachter. Nach unten auf die Dämonen oder Götter schaut keine der Vidyadharis. Sie vermitteln den Eindruck kollektiver Teilnahmslosigkeit, andererseits schauen sie mächtig beschäftigt aus. Ihre Bewegungen zeichnen sich durch geregelte geradlinige Betriebsamkeit aus. Keine schert aus der Reihe. Die Flugreigen sind überzeugend organisiert. Die Vidyadharis auf der Dämonen-Seite sind allesamt mit dem rechten Bein (Knie) nach vorn unterwegs, die Vidyadharis auf der Götterseite haben das linke Knie vorn. Solche geordnete Formationen erinnern an Vogelschwärme. Wer oder welche führt den/die Flugreigen an? Auf Hanumans Seite schwebt direkt über seinem Kopf eine von der Statur etwas stattlichere Vidyadhari. Im Umfeld Ravanas hebt sich keine Vidyadhari sonderlich hervor. Jedoch die Vidyadharis der oberen Reihe sind durch ihre kühn geschwungenen Girlanden verbunden, zu sehen sind elegante Kurven, welche die Flugordnung auflockern. Betrachter müssen lange auf das Bild schauen, ehe sie Besonderheiten erkennen, was nicht heißen muss, dass sie sich die inhaltlich-mythologische Tragweite der Kolossaldarstellung vergegenwärtigen. Reiseführer unterscheiden zumeist nicht zwischen Apsaras und Vidyadharis, warum auch immer. Sofern sie auf diese himmlischen Wesen hinweisen, werden sie diese vermutlich als Apsaras bezeichnen. Der Autor kann schauen und beschreiben, ohne im Detail zu schlüssigen Bewertungen zu gelangen. Auch wenn der klar umrissene Aufgabenbereich der Vidyadharis nicht aus dem Bildgeschehen hervorgeht, soviel steht fest: Auf diesem Relief sind keine Apsaras in den Lüften unterwegs. Der klar umrissene Aufgabenbereich der Vidyadharis geht aus dem Bildgeschehen nicht hervor. Soviel aber ist dem himmlischen (oberen) Bildgeschehen zu entnehmen: Apsaras sind in den Lüften nicht unterwegs, zumindest nicht auf diesem Relief. Apsaras sehen anders aus. Apsaras tragen andere Kleidung. Apsaras fliegen nicht, sie tanzen. Jetzt mag mancher einwenden, im Angkor Wat wären Apsaras mit den gleichen Kronen, gleichen Haartrachten und Ohrringen zu sehen, das ist richtig, doch keine dieser Frauen im Angkor Wat befindet sich in der Flugpositur der Vidyadharis. Sicher zählen die einen wie die anderen zu den halbgöttlichen Wesen, doch sie gehen unterschiedlichen Professionen nach. Es ist also ein nicht ganz ungefährliches Wagnis, alle halbgöttlichen Frauenwesen unbedenklich als Apsaras zu klassifizieren, es sei denn APSARA gilt als übergeordneter Sammelbegriff, der alle himmlischen weiblichen Wesen erfasst. Ist dem nicht so, begibt sich mancher Guide oder Autor mit solchen vereinnahmenden Kategorisierungen auf dünnes Eis. Zusätzlich muss bedacht werden, dass etliche der Himmelswesen weiblich als auch männlich in Aktion treten: Vidyadhari → Vidyadhara oder Kinnari → Kinnara. Apsara in männlicher Ausprägung gibt es nicht. Apsaras zählen zu den Gefährtinnen der Gandharvas, den Himmelsmusikern. Tanz und Musik, das stimmt überein, das bedingt einander, doch wer von den Dämonen und Göttern sollte sich bei der überaus anstrengenden Gewinnung des Amrita von irgendwelchen Unterhaltungen ablenken lassen? Apsaras sind Tänzerinnen und Vidyadharis schwingen keine Tanzbeine, bestenfalls Sieges-Girlanden. Vidyadharis sind eigenständige Wesen und haben mit Apsaras nichts gemeinsam. Überzeugend und eindeutig dargestellt ist das Quirlen des Milchozeans. Am Schauwert des Reliefs lässt sich kaum rütteln. Das Bild ist im umfassenderen Sinn sprechend, Missverständnisse sind ausgeschlossen. Wer das Bild nicht versteht, kennt den Mythos nicht. Auf die spezielle religiös-ikonographische Khmer-Variante muss hier noch hingewiesen werden: Weder der legendäre Dämonenkönig Ravana noch der bis heute verehrte Gott Hanuman feiern in der tradierten Überlieferung der Amrita-Gewinnung ihren Auftritt. Auf diese Besonderheit verwiesen schon die Autoren Michael Freeman und Claude Jacques in ihrem Buch ANCIENT ANGKOR: »The presence of Ravana and Hanuman on either side is quite unique and not part of the original legend. It represents the Khmer combining the ancient Vedic legends with charakters from the Ramayana.« Aus welchen Gründen Ravana und Hanuman in Erscheinung treten, kann nicht verbindlich erklärt werden, hat aber auch grundsätzlich nichts mit dem Thema des Artikels zu tun. Mit einer Erklärung soll dieser Themenkomplex schließen. Marilia Albanese schreibt in ihrem Buch DIE SCHÄTZE VON ANGKOR zum Quirlen des Milchozeans auf Seite 164: » Das obere Register zeigt aus den Wellen geborene Apsaras, die in der Luft tanzen. « Marilia Albanese definiert die »aus Wellen geborene(n)« als Apsaras, in meinem Artikel werden sie als Vidyadharis beschrieben. Das Bildgeschehen in Register gegliedert zu betrachten, ist eine spezielle Sichtweise, hat jedoch mit der Thematik des Artikels nur peripher zu tun. Wer auf das Bild (die Register?) blickt, sieht den Milchozean, sieht Vasuki, Dämonen und Götter und darüber den Himmel voller Vidyadharis. Zwischen den Welten existieren keine Trennlinien, die einzelne Register definieren würden. Wissenschaftliche Lehrmeinung und persönliche Sichtweise treffen aufeinander. Anmerkung: Aufmerksamen Reisenden wird am Airport Bangkok im Check-In-Bereich die bunt schillernde Großplastik Quirlen des Milchozeans aufgefallen sein, das ist die wahrscheinlich modernste und auffälligste Adaption des Mythos, wobei der Künstler (vermutlich der niedrigen Raumsituation Rechnung tragend) die Vidyadharis aussparen musste. Die Forschungs- und Restaurierungsarbeiten im Angkor-Gebiet nehmen kontinuierlich ihren Fortgang. Neuentdeckungen sind keineswegs ausgeschlossen. Im März 2019 war die fragmentarische Wiederherstellung eines Tympanums im Ta Prohm Tempel unter Vorbehalt zu bewundern. Nur wer mutig die Baustelle betrat und höflich um Zutritt ersuchte, durfte sich an diesem Kunstwerk erfreuen und selbiges verstohlen fotografieren. Vielleicht wird die Giebelfront irgendwann an seinen angestammten Platz hoch oben über einem Tor aufgebaut. In diesem Fall jedoch stand der Betrachter dem Gott und den Vidyadharis unmittelbar ebenerdig gegenüber. Zu sehen waren die bekannten fliegenden Frauen mit den typischen Girlanden, die auch im Angkor Wat über dem Milchozean unterwegs sind. Die Beschreibung und inhaltliche Auslegung der Reliefwände des Ta Prohm Tempel (Bild 11 & 13) soll hier unterbleiben, themenbezogen wichtig sind die Vidyadharis im oberen Bereich der Bildergeschichten. Im Ausschnitt (Bild 12) schweben die Vidyadharis über einer Tempelszenerie. Im Ausschnitt (Bild 14) sind sie in den höchsten Himmelssphären unterwegs. Der Ausschnitt (Bild 15) vom unteren Bereich der Reliefwand (Bild 13) liefert den Kontrast: zu sehen sind tanzende Frauen, geben wir ihnen die Ehre und nennen sie Apsaras, denn Vidyadharis sind, wie in dem Relief erkennbar ist, in höher gelegenen himmlischen Gefilden heimisch. Gesichert ist die Provenienz des Vidyadhara aus Zentral-Indien, welcher im Pariser Musée Guimet ausgestellt wird und damit als eines der seltenen Exponate männlicher Vidyadhara in internationalen Museen bewertet werden muss. Das moderne Tympanum (Bild 17), gesehen im Wat Preah Prom Rath, einem der zahlreichen Klöster in Siem Reap, übernimmt tradierte Elemente aus den klassischen Khmer-Perioden. Im Zentrum steht Brahma auf seiner Gans (Hamsa). Es könnte aber auch Skanda auf seinem Pfau gemeint sein? Wichtig für diese Betrachtung sind die stark variierten Vidyadharis. Vielleicht sind die Vidyadharis/Vidyadharas im Verlauf der Jahrhunderte zu Engeln mutiert? Der Autor lässt sich gern aufklären. Alle Klöster in Siem Reap sind buddhistische Klöster. Der Buddha steht im Mittelpunkt der Verehrung. Die Exerzitien und Anbetungsriten konzentrieren sich auf Buddha, entsprechend häufig finden sich Darstellungen des Verehrten. Buddha ist einerseits idealisiert und andererseits erscheint Buddha als ideelle Wirklichkeit. Buddha ist in Wandbildern und Skulpturen Mensch geblieben. Der Altar im Wat Tmei (Bild 18) zeigt den Buddha in der berühmten Erdberührungsgeste (bhumisparsa mudra). Die goldene Statue wurde geschickt vor einem Wandbild platziert, womit der Anschein erweckt wird, Buddha säße unter dem Bodhi-Baum. Solche Buddha-Statuen sind häufig zu sehen, doch weitaus interessanter ist das Wandbild: es zeigt dem Betrachter den Hain von Sarnath, jenen Platz, an dem Buddha nach seiner Erleuchtung predigte. In einem Himmel über einem geheiligten buddhistischen Platz schweben Vidyadharis mit Opfergaben. Die Beinhaltung spricht eindeutig für Vidyadhara (männlich, rechts im Bild) und Vidyadhari (weiblich, links im Bild). Die sonst nur im hinduistischen Kontext erscheinenden himmlischen Wesen wurden in die buddhistische Ikonographie integriert. Buddha, der sich als Mensch verstand und wie ein Mönch lebte, wollte nicht als Gott verehrt werden, seine Erkenntnisse sollten in der Welt verbreitet werden. Zahllose wunderbar bunte Bilder künden von den Wundern, die Buddha vollbrachte. Häufig sehen wir den Guru von Mönchen und Menschen umgeben, denen er seine Lehren verkündet. Im Bild 19 scheint der Meister aus dem Himmel herab gestiegen zu sein, präsentiert sich predigend auf einem Lotos (Lehrgeste). Der Lotos wiederum steht auf einem Altartisch, ein Bildelement, welches schon fast wie eine Übernahme aus christlichen Bildwerken anmutet. Im Himmel über der Erd-Szenerie schweben Vidyadharis. Vidyadharas in ihrer Profession als himmlische Musiker sind im Bild 20 dargestellt (ein Bildausschnitt von Bild 19). Eventuell sind hier Apsaras als Himmelsmusikanten abgebildet, was den musikalischen Gestus der Darstellung nicht mindert. Die moderne, buddhistische Bilderwelt (Bild 17 bis 20) bedient sich in aller Vielfalt eines positiv zu nennenden Synkretismus, der eben nicht zuletzt die Toleranz gegenüber den anderen Religionen aufscheinen lässt. Anhang: Sowohl in diesem Artikel als auch an anderer Stelle konnte keine exakte Beschreibung für die Girlanden, mit denen die Vidyadharis behängt sind (Bild 10), gegeben werden. In den Tanzliedern der Gitagovinda taucht der Begriff Waldkranz auf. Vishnu (Vaikuntha) tritt mit einem Brustjuwel und einem bis zu den Knien herabhängenden Waldkranz (Anneliese und Peter Keilhauer) in die Welt. Der Vergleich der Vidyadhari-Girlanden mit dem Vishnu-Waldkranz bestätigt fast die Vermutung, dass die Girlanden der Vidyadharis und Vishnus Waldkranz als identische Requisiten anzusehen sind. Im zweiten Tanzlied aus den Liedern zum Lob Govindas werden Brustjuwel und Waldkranz besungen: Lotospracht zum Schmuck der Brust erkoren, Goldgehäng den Ohren, hei! Trägst den Waldkranz umgehängt, den feinen, siegreich, siegreich, Gott Hari, sei! Das wunderbare Foto einer Vidyadhari, aufgenommen im Ta Som Tempel, soll in diesem Artikel den Schlussakzent setzen. Die harmonische Ausstrahlung des überirdischen Wesens macht alle vorangegangenen Worte fast überflüssig. Anmut und Eleganz war nur Göttern vorbehalten.
Verwendete Bücher und Internetseiten: JAYADEVA GITAGOVINDA aus dem Sanskrit übersetzt von Erwin Steinbach Verlag der Weltreligionen im Inselverlag Frankfurt am Main 2008 ISBN 978-3-459-70012-8 Anneliese und Peter Keilhauer: Die Bildsprache des Hinduismus 1986 ISBN 3-7701-1347-0 Michael Freeman & Claude Jacques: ANCIENT ANGKOR 2013 ISBN 974 8225 27 5 Marilia Albanese: DIE SCHÄTZE VON ANGKOR 2006 ISBN 978-3-937606-77-4 https://de.wikipedia.org/wiki/Vidyadhara https://de.wikipedia.org/wiki/Vasuki https://de.wikipedia.org/wiki/Ravana https://de.wikipedia.org/wiki/Hanuman https://de.wikipedia.org/wiki/Milchozean Fotos : Günter Schönlein Text: Günter Schönlein Korrektur: Vanessa Jones Titanen (Riesen in Menschengestalt) erschienen in grauer Vorzeit und wurden in der griechischen Mythologie als das älteste Göttergeschlecht besungen. Wotan ließ sich über Nacht seine Burg Walhall von den Riesen Fasolt und Fafner errichten – mit einem unglaublichen Bauprojekt eröffnet Richard Wagner seine Tetralogie vom Nibelungenring. Wer aber baute den Khmer-Königen die monumentalen Tempel? Wie war es möglich, binnen weniger Jahre eine Vielzahl großer Tempel zu erbauen? Staunend stehen die Laien vor den Bauwerken der Khmer. Kunstliebhaber grübeln und suchen nach rationalen Erklärungen. Archäologen präsentieren verschiedene Theorien ohne plausible Beweise. Mutmaßungen und schlüssige Argumente sind eben doch zweierlei Ding. Schlussendlich kann dieser Beitrag keine der Fragen beantworten, es kann nur auf die bis heute unerklärlichen Leistungen und die damit verbundenen Fragen aufmerksam gemacht werden.
Wie mit Ziegeln umzugehen ist, wussten die Menschen schon zu Zeiten der Indus-Kultur (Mohenjo-Daro, Pakistan). Die Cham beherrschten die Ziegelbauweise perfekt (Tempel von My Son in Vietnam). In Sambor Prei Kuk (Kambodscha) musste keine Ziegelbautechnik erprobt, nur noch eine Stilistik eigener Prägung entwickelt werden. Mit Ziegeln wurden in Sambor Prei Kuk, auf dem Phnom Kulen und im Angkor-Gebiet zahlreiche Khmer-Tempel errichtet. Ziegel waren handlich leicht, daher problemlos zu verwenden. Die Ziegelbauweise wird bis heute weltweit praktiziert, doch die großen berühmten Khmer-Tempel sind aus Sandsteinblöcken errichtet. Schon kleinere Sandsteinblöcke können von Menschenhand kaum noch bewegt werden. Zwei Beispiele sollen das Gewicht der oft verwendeten Steinsorten veranschaulichen. Ein Kubikmeter Sandstein, also ein Block 1x1x1m wiegt zwischen 2300 und 2670kg. Ein Kubikmeter Grauwacke wiegt sogar 2720kg. Ein Steinblock in der genannten Größe wiegt also rund 2,5 Tonnen. Ein Zentner entspricht 50kg. 20 Zentner entsprechen 1000kg=1t. 50Zentner=2,5t. Gewiss wurde nicht wahllos Stein dem Fels entrissen, die Steinblöcke wurden bestimmt dem Bedarf entsprechend schon annähernd maßgerecht gebrochen. Zusätzlich galt es die Sortengleichheit, die Färbung und die Materialreinheit der Steine zu beachten. Allein das Brechen und Bergen der rohen Blöcke und deren Transport zu den Tempel-Baustellen müssen als technische Meisterleistungen eingeschätzt werden. Oftmals lagen Steinbruch und Verwendungsort weit voneinander entfernt. Welche Wagen hielten derartigen Lasten stand? Wie kamen die Blöcke auf die Wagen, falls überhaupt Wagen oder Karren verwendet wurden? Schwere Blöcke lassen sich über kurze Strecken auf Rollen bewegen, über längere Distanzen ist dieses mühsame Transportverfahren auszuschließen. Elefanten und Ochsen können schwere Lasten ziehen, jedoch nicht tragen. Tiere im Gespann können die Zugkräfte vervielfachen, doch ein Steinblock rutscht nicht, gleitet nicht. Jeder einzelne Block muss auf ein Gestell aus Holzstämmen gebunden worden sein, welches dann von Tieren gezogen wurde. Bei ansteigenden Wegpassagen wurde vermutlich mit Rollen, Stangen und Hebeln nachgeholfen. Allein der Transport der Baumaterialien war ein unvorstellbar mühseliges Unterfangen, welches hunderte Hilfskräfte erforderte. Wie wurden die Steinblöcke in Boote verladen und nach der Verschiffung wieder aus den Booten herausgehoben? Wie wurden die Blöcke vom Ufer zur Baustelle befördert? Die weitverzweigten Kanäle zur Wasserversorgung werden immer wieder von verschiedenen Autoren auch als Transportwege in Betracht gezogen. Hilfsmittel, die nach unserem derzeitigen Selbstverständnis die Bauarbeiten erleichtert hätten, standen den Khmer-Bauleuten nicht zur Verfügung. Auf den Reliefs an Tempelwänden in Angkor finden sich kriegerische Auseinandersetzungen und Szenen aus dem Alltagsleben der Khmer detailreich abgebildet, auch Darstellungen mythologischer Geschehnisse sind zu sehen, doch das Errichten von Tempelbauten blieb ausgespart. Es scheint, als sollte der Bau der Tempel geheimnisumwittert bleiben, sollten die Tempel als göttliche Schöpfungen verehrt werden? Wie also wurden die Steinlasten bewegt? Wie wurden Mauern und Turmaufbauten errichtet? Erneut erheben sich die gleichen Fragestellungen. Die Khmer müssen über technische Hilfsmittel verfügt haben. Es ist davon auszugehen, dass die Khmer das von den Griechen erfundene Prinzip der Lastenbewegung mit Kranen kannten. Im 6. vorchristlichen Jahrhundert hatten die alten Griechen den Kran erfunden, dessen Weiterentwicklung sich rasant vollzog, was zur Folge hatte, dass immer schwerere Lasten gehoben und versetzt werden konnten. Nebenher kamen Seilwinden und Flaschenzüge zum Einsatz. Diese kraftsparenden effektiven Möglichkeiten der Lastenbewegung nutzten alsbald auch die Römer und später die Baumeister gotischer Kathedralen. Wer brachte die Kunde dieser Hebemittel nach Kambodscha? Vielleicht haben der Große Alexander und seine riesigen Truppenkontingente keinen geringen Anteil am Wissenstransfer. Der Kriegstross erreichte Nordindien (Baktrien, Gandhara, Pakistan). Im alten Indien könnten technische Neuerungen (aus Europa) erprobt worden sein. Brauchbare Erkenntnisse breiteten sich über die Ländergrenzen aus und die Erfahrungen gelangten mit Wanderarbeitern nach Kambodscha. Der kulturelle Transfer über die Seidenstraße in die jeweiligen Richtungen und die gegenseitigen Befruchtungen sind weitestgehend erforscht und beschrieben, doch die Übernahme technischer Errungenschaften fremder Völker liegt teilweise noch im Dunklen. Auf der Seidenstraße wurden eben nicht nur Waren transportiert. Den Blick auf alle Bauwerke im Angkor-Gebiet richten zu wollen, würde diese Ausführungen in schierer Unüberschaubarkeit enden lassen. Diese Betrachtung soll auf zwei große Bauvorhaben beschränkt bleiben: die Stadt Angkor Thom und den Bayon. Als Bauherr der Stadt gilt der König Jayavarman VII. Er veranlasste ein Großprojekt, welches noch heute bei Fachleuten Respekt und bei Laien Staunen verursacht. Kein Khmer-König hatte je zuvor eine Stadt geometrisch exakter gegliedert erbauen lassen. Klugerweise integrierten seine Baumeister schon vorhandene Tempelbauten in die bahnbrechenden Planungen. Neue und alte Tempel wuchsen zu einem homogenen Stadtensemble, dessen Zentrum der Bayon Tempel bilden sollte. Wir lenken zuerst unseren Blick auf die äußere Begrenzung der Stadt. Allein die Mauer, die Tore, die Eck-Tempel (Prasat Chrung) und die Brücken über den umlaufenden Wassergraben müssen nach heutigem Verständnis als Großprojekt eingestuft werden. Eine quadratische Fläche von jeweils 3km Seitenlänge ist durchaus überschaubar, ist diese Fläche aber von einer Mauer umgeben, müssen Steinmaterialien für 12km Mauerlänge herangeschafft werden. Je höher, je breiter diese Mauer disponiert wird, desto mehr Stein wird benötigt. Es ließe sich ausrechnen, wie viele Tonnen Laterit-Gestein allein für die Ummauerung der Stadt Angkor Thom benötigt wurden. Eine Mauer dieser Größenordnung, etwa 8m hoch und etwa 5m breit, erfordert ein in Breite und Tiefe entsprechend massives Fundament. Die Mauer steht über weite Strecken bis heute unversehrt, hier muss sehr solide gearbeitet worden sein. Fünf ungewöhnliche Stadttore aus Sandstein gewähren Zutritt in die Stadt. Vier Tempelbauten definieren die Eckpunkte der Stadtmauer. Die Nebenstraßen und Wege innerhalb der Stadt sollen in dieser Betrachtung außer Acht gelassen werden. Die bis heute wichtigen Hauptverbindungsadern zwischen den Toren haben sich erhalten und sind den heutigen Anforderungen entsprechend präpariert, sprich asphaltiert worden. Das Zentrum der Stadt Angkor Thom (die geometrische Mitte) wird vom Bayon Tempel dominiert. Im Umfeld des Bayon wurden mehrere Tempelbauten errichtet. Das ummauerte Königspalastareal muss als Stadt in der Stadt angesehen werden. Die Elefanten-Terrasse und der Königsplatz schirmen den Palast ab. Zuvor erbaute Tempel, etwa der Baphuon Tempel, der Phimeanakas Tempel im Königspalastgelände und die Khleangs wurden nicht abgerissen, sondern in die neuen Bauvorhaben einbezogen. In Summa blicken wir innerhalb der Stadt Angkor Thom auf ein Baugeschehen, welches sich über mehrere hundert Jahre hinzog. Nur über dreißig Jahre hindurch bestimmte der König Jayavarman VII. die Stadtentwicklung. Was aber in den drei Jahrzehnten seiner Herrschaft vollbracht wurde, übersteigt das allgemeine Vorstellungs- und Verständnisvermögen. Hätte Jayavarman VII. nur die Gründung und die Bauten der Stadt Angkor Thom veranlasst, würde er allein schon für deren Realisation innerhalb der Khmer-Geschichtsschreibung als genialer Bauherr und glorreicher König im strahlenden Licht erscheinen. Gerechterweise müssen dem König weitere Tempel- und andere Bauten gutgeschrieben werden, beispielsweise der Preah Khan Tempel und der Ta Prohm Tempel, außerdem ließ der König noch 121 Rasthäuser an den Khmer-Hauptrouten und 102 Krankenhauskapellen errichten. Wer nicht unter Zeitdruck steht, sollte einmal gemächlich um den Bayon Tempel herumgehen. Auf diesem Rundweg, immer den Tempel im Blick, erschließen sich die gigantischen Ausmaße des Bauwerks. Nach Betreten des Tempels schwinden die Größenverhältnisse, zu viele bauliche Besonderheiten und die direkte Nähe der Mauern schmälern den Gesamteindruck, die Blickwinkel verengen sich. Die Gesichter-Türme sind zweifellos die Attraktion am Bayon. Egal wo man auf der oberen Tempelebene verharrt und um sich schaut, zu sehen sind nur übergroße Gesichter. Lokeshvara, der Gott (der König?) schaut in fast zweihundertfacher Vervielfältigung auf die Gläubigen und Ungläubigen herab. Die Menschen stehen im Sinne des Wortes dem Gott-König von Angesicht zu Angesicht andächtig gegenüber. Die beabsichtigte, herausragend kalkulierte religiöse Wirkung des Bayon wird durch diese bautechnischen Besonderheiten hervorgerufen. Jeder der ursprünglich 54 unterschiedlich hohen Türme wird von vier eindrucksvollen menschlichen Gesichtern geprägt. Der mittlere, der höchste Turm (der Haupt-Tempel) misst beachtliche 25m. Die Gesamthöhe des Bayon wird mit 43m über Bodenniveau angegeben. Die Idee zu einem solchen Tempel kann durchaus einem Hirn entsprungen sein, möglicherweise dem König selbst, doch die Gesamtkonzeption und Durchführung eines solchen Projekts übersteigt die Möglichkeiten eines Menschen. Mehrere Generationen haben am Bayon gebaut. Um- Aus- und Anbauten haben die Mauern und Raumstrukturen des Tempels über Jahrhunderte hinweg verändert. Das Innenleben des Tempels ist schwer durchschaubar. Schmale Flure, enge Innenhöfe und niedrige Durchgänge sind das Ergebnis mehrfacher Veränderungen, weitestgehend unangetastet blieben die Türme. Schon die Errichtung des Fundaments für ein Bauwerk dieser Größenordnung muss Monate, wenn nicht Jahre gedauert haben. Hier musste sehr sorgfältig und vorausschauend gearbeitet werden. Wir kennen die Bodenbeschaffenheit unter dem Bayon nicht, wissen aber, dass beispielweise der extrem breite Wassergraben, der das Angkor Wat vollständig umgibt, statische Aufgaben erfüllt. Der sich gleichmäßig ausbreitende Wasserdruck hält im Grunde die rechteckige Landmasse, auf der das Angkor Wat erbaut wurde, in Form. Anders am Bayon Tempel, hier existiert kein umlaufender Wassergraben. Die zwei Becken im östlichen Bereich dienten vorrangig der Ästhetik, sicher nicht der statischen Verfestigung des Baugrundes, somit musste ein tiefes, sehr massives, unbewegliches Fundament geschaffen werden. Druck breitet sich bekanntermaßen gleichmäßig aus. Steinmassen, die übereinander lagern, drücken vorwiegend nach unten auf das Fundament. Ungenügende Fundamente oder nicht verfestigte Baugründe führen zu Gebäudeschäden bis hin zu Einstürzen. Der Schiefe Turm zu Pisa ist das berühmteste Beispiel für Gebäudeneigungen, die auf mangelhafte, wenig feste Bodenverhältnisse zurückzuführen sind. Wir sprechen heute mit Selbstverständlichkeit von Logistik. Viele Menschen arbeiten in Logistik-Zentren. Logistik bestimmt weltweit das moderne Leben. Ohne das Wort im Sprachschatz gehabt zu haben, konnten die Khmer-Baumeister auf vorausschauende Planung nicht verzichten. Allein der Transport und die Bereitstellung der Materialien müssen als logistische Höchstleistungen gewürdigt werden. Wie viele tausende Menschen waren in das Baugeschehen des Bayon involviert? Wie viele von ihnen waren Fachleute? Wie viele halfen um geringen oder um Gottes Lohn? Wie viele waren Wanderarbeiter? Gab es Strafarbeiter? Wurden Kriegsgefangene zur Arbeit verpflichtet? Wie viele Menschen sind auf den Baustellen verletzt worden oder durch Unfälle ums Leben gekommen? Wer versorgte die Kranken? Wer kümmerte sich um die Verpflegung? Wo wohnten die Arbeiter? Wie war es um die Organisation des täglichen Lebens bestellt? Wir wissen es nicht. Ein ganzes Volk war in die Tempelbauvorhaben involviert, diente dem König, all das im Glauben sich gutes Karma zu schaffen. Diese Menschen müssen ein sehr beschwerliches Leben geführt haben. Halten wir nochmals fest, jeder Steinblock musste vom Steinbruch zur Baustelle und dort möglichst an den richtigen Platz befördert werden. Jede falsche Auslieferung eines Steines bedeutete zusätzlichen Aufwand und Zeitverzug. Die Steinblöcke mussten, ehe sie zu Mauerverbänden geschichtet wurden, winklig und in passender Größe vorgefertigt sein. Neben maßgerechten Mauersteinblöcken mussten auch Fertigteile, wie Stufen, Pfeiler, Stürze, Säulen, Fenster- und Türrahmen, Bodenplatten, Träger, Dachsteine usw. passend und zur rechten Zeit angeliefert werden. Standen endlich die Grund- und Außenmauern, mussten tragende Zwischenmauern und Pfeiler eingebracht werden, ehe Zwischendecken und weitere Aufbauten folgten, um endlich die noch nie zuvor erprobte Dachkonstruktion zu bewerkstelligen. Die in zwei Sätzen geäußerten Vermutungen, sind nur als Wechselspiel von Erfolg und Misserfolg zu denken. 54 Gesichter-Türme hatten nie zuvor eine Dachlandschaft geziert. Während sich in der unteren Ebene glatte Wände zu Reliefbildern verwandelten, wurden auf dem Dach über zweihundert verschieden große ausdrucksgleiche Gott-Gesichter geschaffen. Was sich betreffs kunstvoller Ausstattung zwischen Dach und Galerie abspielte, ist kaum denkbar bzw. nur ansatzweise vorstellbar. Der Lärm tausender Hämmer wird die Luft erfüllt und jegliche Verständigung unterbunden haben. Zusätzlich ins Kalkül zu ziehen sind die klimatischen Bedingungen, welche die Arbeiten über das Jahr (über die Jahre) hin erschwerten. Gnadenloser Hitze folgen lang anhaltende Regenperioden, die zwar Nässe, aber kaum Abkühlung bringen, daran hat sich bis heute nichts geändert. Gearbeitet wurde, zumindest nach heutigen europäischen Verständnis, unter unmenschlichen Bedingungen. Die extremen Herausforderungen auf den Tempel-Baustellen können Touristen in geringen Maß nachvollziehen, die ein zwei Tage von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in Angkor zu Besichtigungen mehrerer Tempel (nicht zur Arbeit) entspannt unterwegs sind . . . spätestens abends beim Dinner fühlen sie sich völlig ausgelaugt. Wir können heutzutage voller Hochachtung auf die verbliebenen, teilweise restaurierten Angkor-Tempel schauen, können staunen, können uns begeistern, doch erklären lassen sich weder technische Bauabläufe, noch menschliche Tragödien nachempfinden. Jegliche Versuche, den menschlichen Antriebskräften, die solche Bauvorhaben bewerkstelligten, auf die Spur zu kommen, sind zum Scheitern verurteilt. Fernab aller noch so fein- oder tiefsinnigen Erklärungen bleiben die Khmer-Tempel von Menschenhand geschaffene Wunderwerke, die rechtens zum Weltkulturerbe deklariert wurden. Die Werte zur Dichte der Steinsorten wurden aus der Webseite http://www.oberrheingraben.de/Geophysik/Dichte.htm abgerufen. Text: Günter Schönlein Korrektur: Vanessa Jones |
Autor Günter Schönlein
Auf meinen bisher acht Reisen nach Kambodscha habe ich viele Khmer-Tempel photographisch dokumentiert. Mit Pheaks Hilfe suchte ich auch viele schwer zu findende entlegene Tempel auf. In diesem Blog möchte ich meine dabei erworbenen Eindrücke und Kenntnisse gerne anderen Kambodscha-Liebhabern als Anregungen zur Vor- oder Nachbereitung ihrer Reise zur Verfügung stellen. sortiert nach Themen:
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Der Blog enthält sowohl Erlebnis-Reiseberichte als auch reine Orts- und Tempel-Beschreibungen, siehe Kategorien "Persönliches" und "Sachliches" in der Liste von Tags oben, sowie eingestreute Beiträge zu anderen Reiseländern und Themen.
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